Eigentlich ist doch alles wie immer. Ich wache morgens auf, dusche und ziehe mich an. Ich koche Kaffee, schmiere Brote, schneide Obst und Gemüse. Ich packe die Rucksäcke für meine Kinder und setze ihnen eine Mütze auf den Kopf. Alles ganz normal.
Auch 1500 km weiter östlich sind die Rucksäcke gepackt. Für den nächsten Alarm vor einem Luftangriff stehen sie in Kiew oder Charkiv bereit. Alles, was man so brauchen kann, ist in diesen Rucksäcken: Essen und Trinken, das Handy, der Pass. Auch dort, 1500 km weiter östlich setzen Eltern den wenigen Kindern, die noch dort sind, Mützen auf den Kopf. Geben ihnen einen Kuss auf die Wange. Mit Tränen in den Augen. Denn wer weiß, wie lange das noch so weitergehen wird? Wer weiß, ob sie alle den Krieg überleben werden? Das Leben geht weiter, auch 1500 km weiter östlich. Aber nichts ist dort normal.
Ein Jahr dauert der Krieg nun schon. Ein Jahr lang kein Tag ohne Angst. Die Sirenen sind ein gewohntes Geräusch geworden, und doch haben sie nichts von ihrer Bedrohlichkeit verloren.
Es ist Krieg in der Ukraine. Seit einem Jahr. Häuser und Lebensgrundlagen sind zerstört, Familien auseinandergerissen.
Und bei mir geht am Morgen die Sonne auf. Die ersten Krokusse wachsen im Garten und erzählen von Frühling und Hoffnung. Zaghaft strecken sich die Blüten nach den Sonnenstrahlen. Zerbrechlich zittern sie im Wind. Wie die Hoffnung, die ich in mir trage.
Es ist Krieg. Das ist ja nicht neu. Immer ist irgendwo Krieg auf der Welt. Aber dieser ist anders. Näher dran an mir. Genauso ungerecht und grausam wie jeder andere Krieg auch. Aber diesen hier habe ich, wie so viele, nicht für möglich gehalten. Und ein Ende ist nicht in Sicht.
Mein Leben geht weiter, jeden Tag. Die Krokusse blühen und die Sonne scheint. Und doch ist alles anders.
Ich weiß nicht, wohin mit mir und der Angst. Ich bin hilflos.
Denn was kann ich schon tun?
„Hört nicht auf zu beten!“ (Römer 12,12) schreibt Paulus in der Bibel. Und genau das tue ich: Ich bete.
Es kommt mir klein vor, ja. Aber es ist besser als einfach nur weiterzumachen wir immer.
Ich bete. Jeden Tag, jede Stunde. Während ich Kaffee koche und Brote schmiere. Wenn ich meinen Kindern abends über den Kopf streiche. Ich denke an die vielen Menschen, die genau das Gleiche tun und viel bedrohter sind als ich. Bitte Gott, bete ich. Lass endlich Frieden werden. Amen.
Pastorin Almuth Wiesenfeldt, St. Nicolai